Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg fordert mehr psychologische Hilfen für Geflüchtete
Ausbau und Finanzierung Psychosozialer Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer muss gesichert werden
Stuttgart 10.10.2022 Rund ein Drittel der Geflüchteten sind bei ihrer Ankunft in Deutschland durch Krieg, Folter und Gewalt schwer psychisch belastet und traumatisiert. Sie benötigen zeitnahe professionelle psychologische Hilfen. Deshalb fordert der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg zum Welttag für seelischen Gesundheit (10.10.), die Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) im Land weiter zu stärken, flächendeckend auszubauen und finanziell zu sichern. Psychische Gesundheit und eine gute psychosoziale Versorgung von geflüchteten und schutzsuchenden Menschen sind eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Integration, so der Verband.
„Viele Geflüchtete sind durch traumatische Erlebnisse in den Herkunftsländern und auf der Flucht psychisch schwer belastet. Dazu kommt die ständige Sorge um die in der Heimat verbliebenen Angehörigen. Ohne schnelle Behandlung kann es zu schweren gesundheitlichen Beschwerden und posttraumatischen Belastungsstörungen kommen“, sagt Ulf Hartmann, Vorstand des PARITÄTISCHEN Baden-Württemberg. Das Land müsse dringend die psychologischen Hilfen für traumatisierte und psychisch belastete Geflüchtete erweitern und Psychosoziale Zentren weiter stärken. „Sie sind oftmals die einzige Anlaufstelle für Geflüchtete, die psychosoziale Beratung und Hilfen benötigen. Vielerorts gibt es Probleme, einen geeigneten Therapieplatz mit Sprachmittlung zu finden. Die Psychosozialen Zentren mit ihren multidisziplinären Teams von Psychotherapeut*innen, Sozialarbeiter*innen und Dolmetschenden schließen deshalb eine wichtige Lücke in der Versorgung von traumatisierten und psychisch erkrankten Geflüchteten. Zunehmende Flüchtlingszahlen und der große ungedeckte Bedarf in der psychosozialen Versorgung von Geflüchteten mit besonderen Schutzbedarfen machen den flächendeckenden Ausbau und eine nachhaltig sichere Finanzierung dringend erforderlich.“ Psychische Gesundheit und Stabilität seien wichtige Voraussetzungen für eine gelingende Integration, so Hartmann.
„Die Kriege unserer Zeit reißen tiefe Wunden und erschüttern das Sicherheitsgefühl des Einzelnen und ganzer Gesellschaften. Die hohe Aufnahmebereitschaft ukrainischer Geflüchteter hat gezeigt, wie die Aufnahmegesellschaft zusammensteht und Sicherheit schafft. An diesem Punkt beginnt der Prozess der Heilung. Schwer traumatisierte Geflüchtete benötigen dabei jedoch professionelle Hilfe, die sie in der Regelversorgung aufgrund struktureller Hürden kaum erhalten. Deshalb appellieren wir als eines von acht Psychosozialen Zentren in Baden-Württemberg an die Landesregierung, die Versorgungsverantwortung für die besonders Schutzbedürftigen durch die Bereitstellung zusätzlicher Mittel wahrzunehmen“, erklärt Manfred Makowitzki, Leiter des Behandlungszentrums für Folteropfer Ulm.
Pressekontakt Behandlungszentrum für Folteropfer Ulm (BFU), Manfred Makowitzki, Leiter, Tel. 0731/88 07 08 91, E-Mail: m.makowitzki@rehaverein.de
Hintergrundinformation:
Der Welttag für seelische Gesundheit wurde 1992 durch die World Federation for Mental Health (WFMH) ins Leben gerufen und 1994 auch in der Bundesrepublik eingeführt. Mit dem diesjährigen Motto „Make mental health and well-being for all a global priority“ („Psychischer Gesundheit und Wohlergehen für Alle weltweit den Vorrang geben“) wird der Blick auf den weltweiten Anstieg psychischer Erkrankungen gerichtet und diese in Beziehung gesetzt zu globalen Themen wie Klimakrise, Kriege oder Coronapandemie.
Psychosoziale Zentren (PSZ) bieten ein spezialisiertes und multiprofessionelles Angebot für Menschen mit Fluchterfahrung sowie Menschen, die schwere Gewalt oder Folter erfahren haben. In den letzten Jahren haben sich die PSZ von ehrenamtlichen, zivilgesellschaftlichen Initiativen zu zentralen Akteuren in der psychosozialen Versorgung von geflüchteten und schutzsuchenden Menschen entwickelt. Zum Leistungsangebot zählen unter anderem: Sozialberatung, Einzelpsychotherapien, (Asyl-)Rechtliche Beratung, die Feststellung besonderer Schutzbedürftigkeit, spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche, andere Therapieangebote (Bewegungstherapie und kreative Therapien), medizinische und psychiatrische Versorgung sowie Gruppenangebote mit pädagogischem und bildungsorientiertem Fokus. Im Jahr 2020 wurden in den PSZ deutschlandweit insgesamt 19.352 Klient*innen versorgt – durch die Corona-Pandemie waren aber vielen Angebot nur eingeschränkt nutzbar und teilweise ganz eingestellt. Dreiviertel der Klient*innen erhielte (psycho-)soziale und/oder asylrechtliche Beratung. Mindestens 30 Prozent aller geflüchteten Menschen sind von depressiven Erkrankungen oder Posttraumatischen Belastungsstörungen betroffen. In Baden-Württemberg gibt es insgesamt neun Psychosoziale Zentren.
Der PARITÄTISCHE Baden-Württemberg ist einer der sechs anerkannten Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege. Er ist weder konfessionell, weltanschaulich noch parteipolitisch gebunden. Der Verband steht für Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Teilhabe und wendet sich gegen jegliche Form sozialer Ausgrenzung. Ihm sind in Baden-Württemberg über 900 selbständige Mitgliedsorganisationen mit insgesamt rund 4.000 sozialen Diensten und Einrichtungen angeschlossen sowie rund 40.000 freiwillig Engagierte. Ihm gehören rund 80 Mitgliedsorganisationen aus dem Bereich Sozialpsychiatrie an. Weitere Infos unter www.paritaet-bw.de